Firma aus Bielefeld verkauft erfolgreich handgefertigte Strandkörbe - WELT

2022-06-03 17:38:44 By : Mr. Carl SPO

M annshohe braune Pappkartons stehen dicht an dicht nebeneinander. Gut zwei Dutzend Kartons in einer Reihe. Gerd Müsing streicht im Vorübergehen mit der Hand darüber und liest die Aufschrift der Adressaufkleber vor: „Cuxhaven, Schwerin, München-Unterschleißheim.“ Nachher, wie an jedem Nachmittag, wird ein Spediteur die Ware zur Auslieferung abholen.

Müsing produziert Strandkörbe – wie fast alle Gartenmöbel eines der Boom-Produkte der Corona-Krise. Und er ist sich sicher, dass das noch eine ganze Zeit lang so bleiben wird. Die Deutschen seien endlich auf den Geschmack gekommen. Vor gut 30 Jahren hat Müsing als erster damit angefangen, Strandkörbe gezielt fürs Binnenland herzustellen.

Und nun kann der 76-jährige Unternehmer zufrieden auf sein Werk blicken. Alles läuft für ihn, seine Produkte haben ihren Preis – und finden dennoch immer mehr Abnehmer. „Jedes Jahr stellen sich mehr Leute einen Strandkorb in den Garten“, sagt er. „Der Strandkorb ist hip.“

Wer einen von ihm haben will, muss allerdings warten können: „Lieferzeiten wie bei Hybrid-Autos“ gebe es zeitweise. Nicht nur die steigende Nachfrage, auch die inzwischen fast überall in der Wirtschaft spürbare Materialknappheit treibe die Lieferzeiten auf drei bis vier Monate hoch. Noch vor zwei Jahren waren vier bis sechs Wochen üblich.

Dabei arbeiten die Müsings derzeit schon auf Hochtouren für die nächste Saison. Sechs Tage die Woche. „Im Februar brauchen die Fachhändler neue Ware für ihre Ausstellungsflächen“, sagt Müsing.

Manche mögen bei dem Thema an Körbe denken, die traditionell an Nord- oder Ostsee hergestellt werden – und tatsächlich: Auf Usedom gibt es die bis heute produzierende erste deutsche Strandkorbmanufaktur. Auf deren Gelände hört man das Meer rauschen. Bei Müsing rauscht allenfalls die Autobahn A2, Höhe Bielefeld-Hillegossen.

Gerd Müsing ist es in der trockenen westfälischen Bucht gelungen, sein Unternehmen „Sonnenpartner“ innerhalb von drei Jahrzehnten zu einem der größten Strandkorbhersteller Deutschlands zu machen. Branchenkenner mutmaßen, es könnte sogar der größte überhaupt sein.

Müsing selbst hält sich mit solchen Details dezent zurück, zu klein sei die Branche. „Hervorragend“ sei die im September zu Ende gegangene Saison gelaufen, sagt der Seniorchef, der das Unternehmen mit seinen Söhnen Jörn, 52, und Volker, 49, führt.

Das Umsatzplus habe bei „über zehn Prozent“ gelegen. „Der Strandkorb hat es endgültig geschafft.“ Das sei schon vor Corona erkennbar gewesen, jetzt umso mehr. „Als die Leute nicht in den Urlaub fahren konnten, wollten sie wenigstens einen Strandkorb haben. Vor allem die Frauen.“

Denn ein Strandkorb sei ein eher weibliches Produkt, sagt Müsing. Während die mitgebrachten Herren sich die Zeit gerne in der angegliederten Grill-Ausstellung vertrieben, brauchten Kundinnen schon mal zwei bis drei Stunden, um sich ihr individuelles Strandkorb-Modell zusammenzustellen. Tausende Varianten sind möglich. Die Konfiguration eines Neuwagens scheint dagegen ein Klacks.

Es gibt Einsitzer, Zweisitzer, Zweisitzer XL, Dreisitzer, die geschwungene Ostsee-Form oder die eckige Nordsee-Variante, Lieger, Halblieger, Körbe aus Teak, Mahagoni oder nordischem Holz. Alles in diversen Farben, mit breitem oder schmalem Geflecht. Mit Bistro-Tisch, Seitentisch, Sektkühler-Halter und Zeitschriftentasche. Mit normaler oder extra starker Polsterung. In 200 Stoffvarianten bis hin zu Markisen-Qualität.

Es gibt sogar ein Drehgestell, damit der Strandkorb dem Lauf der Sonne folgen kann. Und einen Tablet-Einschub, der es ermöglichen soll, auch bei greller Sonneneinstrahlung Filme zu schauen. „Die Sonderausstattungen werden gerne angenommen“, sagt Müsing. Zwischen 1000 und 3000 Euro lassen sich seine Kunden den Spaß im Schnitt kosten, manche investieren mehr. Das Top-Modell „Präsident Alu“ steht gar mit 5800 Euro im Katalog.

Dabei gibt es viel günstigere Standkörbe. Die Manufakturen in Ahrensbök oder in Buxtehude, die Anbieter Brast, Tectake, Wodesa und andere bieten Modelle deutlich unterhalb von 1000 Euro an. Müsing sagt nur, die anderen machten auch gute Produkte. Doch er ist mit seinem Hochpreiskonzept offenbar erfolgreich.

Nur für Einsteiger oder, wie Müsing sie gern nennt, „die Ikea-Generation“ produzieren die Bielefelder auch günstigere Modelle, die die Kunden selber zusammenbauen müssen. Beim Rundgang durch sein Holzlager und die Fertigung nimmt er immer wieder zugeschnittene Holzelemente von den Stapeln und zeigt: „Wir arbeiten mit Nut und Feder, nach alter Tischler-Tradition. Das hält dann 25 oder 30 Jahre.“

Vor einiger Zeit sei mal ein Korb vom Lkw gefallen, erzählt Gerd Müsing. „Der war nur am Geflecht beschädigt, der Rahmen blieb tadellos.“ Um sich von anderen Anbietern abzugrenzen, unterscheidet Müsing den Markt in Garten-Strandkörbe, wie er sie baut, und See-Strandkörbe, wie sie am Meer an Urlauber verliehen oder bei Strandkorbkonzerten genutzt werden. Die seien nicht sein Geschäft.

Vielleicht wäre das ostwestfälische Strandkorb-Imperium nie entstanden, wenn nicht Müsings Frau Irmtraut unbedingt einen solchen Korb hätte haben wollen. Das ist über 30 Jahre her. Bei einer Auktion an der Küste, bei der Vermieter ausgediente Körbe nach Saisonende versteigern, sollte ihr Traum wahr werden.

Doch die angebotenen Exemplare seien in einem derart schlechten Zustand gewesen, dass Frau Müsing lieber verzichtete. Und später ihren Mann bat, der in einem holzverarbeitenden Betrieb tätig war: Bau mir einen!

Gerd Müsing schaute sich daraufhin im nächsten Urlaub haargenau an, wie die Körbe gebaut sind, vermaß die wichtigsten Elemente, mobilisierte handwerklich begabte Freunde und Bekannte. Und schließlich, nach langem Tüfteln und Probieren, stand Müsings erster Strandkorb im Garten. Was schnell Nachfrage bei Gästen hervorrief. Irgendwann wurde daraus eine Geschäftsidee.

Doch die musste erst am Markt durchgesetzt werden. „Großhändler haben mich ausgelacht: Strandkörbe im Binnenland? Die kauft doch keiner“, erinnert sich Müsing. Aber doch, auch die Binnenländer kaufen Strandkörbe, selbst im tiefen Bayern.

Inzwischen hat Müsing einen Betrieb mit 70 Mitarbeitern, die in Bielefeld die Holzarbeiten machen, lackieren, polstern, nähen, sich um die Endmontage und den Versand kümmern. Das aufwendige Geflecht kommt aus der Filiale in Tschechien mit ähnlich vielen Mitarbeitern. Anders sei es nicht zu machen, „die Strandkorbherstellung ist reine Handarbeit“. Mit 20 bis 40 Arbeitsstunden pro Korb, je nach Ausstattung.

Eine Frage treibt Müsing noch um: Warum werden Strandkörbe fast ausschließlich in Deutschland nachgefragt? Eine Antwort hat er nicht, aber er ist sicher: „Wenn sich mal jemand wirklich dahinterklemmt, wird der Strandkorb auch im Ausland Erfolg haben.“

120 Kilogramm kann ein Strandkorb aus Müsings Herstellung wiegen, wenn der Kunde viele Extras bestellt hat. Um das Gartenmöbel trotz des Gewichtes über die Terrasse bewegen zu können, sind zumeist Rollen oder Gleiter aus Kunststoff montiert. Die schlichteren Modelle kommen mit etwa 80 Kilogramm aus. Bis zu 200 Einzelteile sind nötig, um in bis zu 40 Arbeitsstunden in Handarbeit einen Garten-Strandkorb zu bauen.

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