Galerien - Allen Jones: Frauen sind höhere Wesen - Wiener Zeitung Online

2022-06-24 17:31:59 By : Mr. Tony Cui

Originelle "figurative" Malerei: Allen Jones lässt ein höheres Wesen vorm abstrakten Expressionismus aufmarschieren. ("Sweet Spot", 2017.)

Jones – ach, wie dieser amerikanische Action-Archäologe mit Hut und Peitsche, Vorname: Indiana (eigentlich Henry Walton)? Nein, wie dieser britische Künstler (geboren 1937), aus dessen Pinsel poppige Farben fließen und dessen Vorname Allen ist. Noch bekannter als für sein vitales Malgerät ist er aber wahrscheinlich für seine aufreizend erwachsenen Puppen, die als hochhackige Männerfantasien durch sein Oeuvre stolzieren.

Mit sexy Frauen und ebensolchen Farben (und viel Bewegungsenergie) sorgt der womöglich letzte noch aktive Pop-Artist der ersten Generation (Warhol, Lichtenstein . . .) jetzt in der Galerie Ernst Hilger bloß noch kurze Zeit für einen Frischekick. (Mehr noch als die tüchtige Klimaanlage.) 

Kleiderständer oder feuchter Männertraum? "Boutique (Waiting on Table with Cape)", 2015 - 2019, von Allen Jones.

"Boutique" (wie dieses kleine Modegeschäft?) heißt die stimulierende Ausstellung, die nicht nur die Zapfen anregt (die Farbrezeptoren auf der Netzhaut – welche "Zapfen" sonst?). Und tatsächlich begrüßt einen gleich einmal eine schütter gekleidete "Schaufensterpuppe", die in einer auslagenartigen Vitrine ein kokettes transparentes Cape und offenbar den ominösen kleinen Unterschied vorführt. Dieser beträgt ungefähr zehn, zwölf Zentimeter. So hoch ist also der Stilettoabsatz. Sneaker zieht der Allen Jones seinen Frauen jedenfalls keine an. Bequeme Treter.

Das sind eben höhere Wesen, die den Sockel auf Schritt und Tritt mit dabei haben. An den Füßen. Sich permanent einen Stock höher aufhalten bzw. einen Stöckel höher. (Die Männer haben dafür ein Stückl weiter oben was. Einen Hut nämlich. Manchmal. Oder eh ziemlich oft.) Die übrigen anwesenden "Modepupperln" aus Kunststoff (2017), die lebensgroßen Schreitenden, die einen Schritt nach vorn machen, einen Vorwärtsdrang haben, sind ebenfalls nicht unbekleidet. Tragen Farbe. Werden zu Bildträgern, Tschuldigung: Bildträgerinnen . Verfügen über so etwas wie einen gestischen Tarnanstrich, eine abstrakt expressionistische Mimikry sozusagen, zumal sie sich ins schmissige Ölgemälde an der Wand dahinter förmlich hineintarnen.

Und zusätzlich (sprich: Obwohl sie sich bereits mit High Heels über das Bodenniveau erheben) stehen die sogar auf einem Stockerl. Einem mit Rollen. Sind quasi interaktiv, potenzielle kinetische Skulpturen. Denn die darf der Betrachter, die Betrachterin nach dem persönlichen Gusto hin- und herschieben und zum flachen Bild im Hintergrund immer wieder neu positionieren. Durchaus originelle Hybriden aus abstraktem Expressionismus und figurativer Malerei, auch wenn es sich bei Letzterer genau genommen um eine bemalte Skulptur handelt. Die Pop-Art versöhnt sich auf ihre alten Tage mit der einstigen Widersacherin, der abstrakten Kunst, gegen die sie einstmals mit ihren kommerziellen Bildern und Posen revoltierte, Stellung bezog (mit ihrer grellen Konsumwelt zwischen Eros und, nein, nicht Thanatos, sondern Werbung – und Mode). 

"Richtige" Männer haben natürlich einen Ständer. Für ihren Hut. Einen Hut ständer folglich. Ein solcher ist übrigens Teil jenes provokanten Sadomaso-Skulpturenensembles aus dem Jahr 1969 ("Hatstand, Table and Chair"), mit dem Jones Aufsehen und Unmut erregt hat und auf das seither diverse gutgemeinte antichauvinistische Attentate verübt worden sind (mit Stinkbomben, einem Abbeizmittel . . .), um die Ehre der Frau zu verteidigen.

Für den Geschlechterkampf immer gut gerüstet (mit der "Cover Story", 2017, aus Fiberglas, Leder und Stahl von Allen Jones).

Schließlich wird sie hier "vermöbelt", wird zum devoten Möbelstück umfunktioniert, zur Sitz-, Abstell- und Aufhänggelegenheit. Zum erotischen Heimchen auf allen vieren mit einer Tischplatte auf dem Rücken etwa. Weil man sich aus Frauen anscheinend mit wenigen Handgriffen Einrichtungsgegenstände basteln kann. Selbstbaumöbel. Und man benötigt nicht einmal einen Inbusschlüssel wie bei Ikea. Lediglich einen Gürtel, mit dem man zum Beispiel die gepolsterte Sitzfläche an den bis zur Brust angezogenen Beinen festschnallt. (Hä? Klingt wie eine Yoga-Übung? Wer sich nimmer auskennt, schaue sich halt die Sessel-Position auf Wikipedia an: https://en.wikipedia.org/wiki/Hatstand,_Table_and_Chair.)

Das misogyne Werk eines Machos, der den menstruierenden Teil der Menschheit zum Objekt herabwürdigt, das Mann im wahrsten Sinne des Wortes besitzen und (mit Whiskygläsern) "bestellen" kann (und darf)? (Kalt.) Oder einfach die überzeichnete Diagnose eines Ist-Zustands? Der Rolle der Frau als willige Dienerin des Patriarchats, als dem männlichen Geschlecht untergeordnete Lebensform? Und in Wirklichkeit ein feministischer Sexismus? (Wärmer.)

Witzigerweise (wobei: Komisch ist es ja nicht direkt) werden im dystopischen Zukunftsschocker "Soylent Green" (auf Deutsch: ". . . 2022 . . . die überleben wollen") die Konkubinen, die in den Apartments der Privilegierten zum Inventar gehören, "Furniture" genannt ("Mobiliar"). "Soylent Green", das ist dieser sich immer mehr bewahrheitende Ökothriller, 1973 in die Kinos gekommen, in dem die "normalen" Leute in einer weitgehend zerstörten Umwelt und auf einer erhitzten, überbevölkerten Erde nur noch grüne, angeblich aus Plankton erzeugte zwiebackähnliche Nahrungsplättchen der Firma Soylent zu essen kriegen und wo Charlton Heston am Ende hysterisch auf einer Trage schreit: "Soylent Grün ist Menschenfleisch!" (Moment: 2022? So wie: heuer?) 

Hm. Und der Hutständer? Respektive die Hutständer-in? Hätte theoretisch Platz für drei Hüte. Für zwei auf den Händen und einen auf dem eigenen Kopf. In der plakativ gedruckten Fotosequenz in der Galerie variiert die Stehpuppe minimal ihre Haltung, macht Bewegung (ganz diskret), rührt sich. Und wandelt augenzwinkernd den Refrain eines Chuck-Berry-Songs ab: "Roll Over Canova – Tell Picasso the News".

Schwungvolles von Allen Jones ("Small Sprawl", 2016). Und auch die Farbe macht Bewegung. (Ist ein sogenannter Flip-Flop-Effektlack.)

Im Original soll sich bekanntlich der Beethoven vertschüssen und soll dem Tschaikowski Bescheid gegeben werden. Dass längst der Rock ’n’ Roll regiert und nimmer die Klassik? Und die Pop-Art ist der Rock ’n’ Roll der bildenden Kunst? Dieser Canova, der klassizistische Bildhauer, für dessen Marmor-Theseus, der inzwischen im Kunsthistorischen Museum den Kentauren besiegt, der Theseustempel im Volksgarten ursprünglich errichtet worden ist, kann sich demnach brausen gehen und den Picasso gleich mitnehmen unter die Dusche? Auf dass sich Letzterer blau und rosa ärgern möge?

Die nackten Wände hat er ebenfalls poppig bekleidet, der Allen Jones.

Fetischist ist er sowieso, der Absolvent des Royal College of Art in London, wo Allen Jones zusammen mit David Hockney und R.B. Kitaj studiert hat, bevor es ihn 1964 nach New York, ins Auge der Avantgarde, gezogen hat. "Cover Story (purple)": eine violette Femme-fatale-Rüstung aus Fiberglas. Sinnlich glänzende Lackierung, petrolfarbene Lederriemen. Auf Zehenspitzen geht frau da hinter martialisch spitzen Brüsten in Deckung. Selbst ein Buch (über Naomi Campbell, das Supermodel) ist nicht sächlich, nicht geschlechtsneutral. Vielmehr hat es, Erscheinungsdatum 2016, eindeutig weibliche Attribute: Brüste. Ein gepanzertes Dekolletee. Die harte, haptische Buchhülle ist ein Multiple. Wie das Messer mit den höchst gefährlichen, weil scharfen Kurven, dessen Klinge in Form eines sich zuspitzenden, eines spitzentanzenden Damenbeins geschliffen worden ist ("Dangerous curves", 2008). 

Paravent oder Tafelbild? Wahrscheinlich beides. Allen Jones' "Screen Test" aus dem Jahr 2016.

Apropos Tanz und Dynamik: Auf zwölf Blättern fusioniert die Kalligrafie mit der menschlichen Figur, die chinesischen Schriftzeichen für Frau und Mann tänzeln regelrecht herum, skripturale Notizen werden zu Schriftzeichen der Körpersprache, zu Stenogrammen der Motorik. In weiterer Folge verrenken sich schemenhafte Silhouetten im Raum dialogisch, materialisieren sich in Bronze oder koloriertem Holz als leidenschaftliche Tanzpaare. Von den Rändern eines Paravents, eines freistehenden, beidseitig bemalten Tafelbildes, nähern sich die Partner gleichfalls einander, löst sich ihre Physis im Malerischen auf: da das auch optisch nostalgische Frauenbild, das ein bissl in den 60ern steckengeblieben ist, und dort der geschmeidige Lüstling, der sich als Fragezeichen schlängelt (als Fragezeichen mit Hut).

Doch ob sich die Leiber nun mit musikalischen Rhythmen paaren oder mit einer schwungvollen, puren Malerei (wie auf den Leinwandbildern, die in dieser "Boutique" die nackten Wände bekleiden und wo Menschen in Logen mit einem fast romantisch kitschigen abstrakten Ambiente verschmelzen), an der dynamischen Buntheit kann man sich aufgeilen.

Di. – Fr.: 11 – 18 Uhr