Zigarettenstummel-Recycling: Herausforderung für die Müllhalde - WELT

2021-12-06 01:05:19 By : Mr. Kevin Lin

Mario Merella steckt einen Schlüssel in die Stahlkiste an einem Laternenpfahl. Unten öffnet sich eine Klappe und Zigarettenkippen fallen in den Eimer, den Merella darunter hält. Rund 300 Zigarettenkippen wurden diese Woche in die Kiste auf dem Brüsseler Platz in Köln geworfen. Das sind 300 Zigarettenkippen, die nicht auf der Straße gelandet sind.

Denn die kleinen Stummel sind hart. Kommen sie mit Wasser in Kontakt, lösen sich Schadstoffe wie das Nervengift Nikotin und belasten das Grundwasser und die Umwelt. Studien zeigen, dass ein Kolben pro Liter Wasser ausreicht, um Kleintiere und Fische in kurzer Zeit zu töten. Städte und Gemeinden erhöhen die Bußgelder für das Wegwerfen von Zigarettenkippen. Und viele Umweltinitiativen rufen zu Müllsammelaktionen auf.

Aber wohin mit den Stümpfen? In der Regel werden sie mit dem Restmüll verbrannt. Aber Mario Merella hatte eine andere Idee. Der 55-Jährige sammelt mit seinem Kölner Verein Tobacycle im großen Stil Hintern – und lässt sie recyceln. Über fünf Tonnen hat er schon von der Straße getragen.

Merella führte bis 2016 eine Callcenter-Firma. Diese Arbeit war unbefriedigend, Merella war auf der Suche nach etwas Neuem. Dann weckte ein Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sein Interesse. „Die WHO hatte die Tabakpflanze in Indien zur nicht nachhaltigsten Pflanze gekürt“, sagt er. Merella informierte sich über die Kreislaufwirtschaft und Umweltgesetze. Eineinhalb Jahre später gründete er den gemeinnützigen Verein Tobacycle. Sein Ziel: aus Zigarettenstummeln kleine Plastikdosen zu machen. „Raucher können unterwegs ihre Ärsche reinstecken, zu Hause abholen und dann zu uns schicken“, sagt Merella. In diesen Taschenaschenbecher passen rund elf Kippen, die er gegen Spenden verteilt. Wenn er Rauchern sagte, sie sollen ihren Hintern behalten, seien sie oft wütend geworden, sagt Merella. Bietet er ihnen hingegen einen Taschenaschenbecher an, sind die Reaktionen positiv.

Allerdings steckt das Recycling von Zigarettenkippen noch in den Kinderschuhen. Tabakdosen bestehen nur zu fünf Prozent aus Zigarettenasche, Filtern und Papier. Nach der Zerkleinerung wird das Material mit Kunststoff und Kunstharz vermischt, wodurch ein spritzgussverarbeitbarer Kunststoff entsteht. Die Giftstoffe der Zigarette werden in den Dosen so eingekapselt, dass sie keinen Schaden mehr anrichten. Doch wie nachhaltig ist diese Art des Recyclings eigentlich? Für Merella ist klar, dass das Sammeln von Kippen besser ist, als sie in der Natur verrotten zu lassen.

Merella bietet auch Firmen, Gastronomen und Eventveranstaltern Pfandeimer, Kisten und Plastikröhrchen zum Sammeln der Kippen an. Sie enthalten aber noch kein Recyclingmaterial. „Wir forschen hier weiter“, sagt Merella. Außerdem hofft er auf eine Kooperation mit Gum-Wall, einem baden-württembergischen Unternehmen, das Städte von ausrangiertem Kaugummi befreit. Die meisten Kaugummis bestehen aus Weichplastik, und Merella will testen, ob er sich für das Recycling von Kippen eignet. „Wir könnten ein gemeinsames Logistiksystem aufbauen, um Kaugummi und Zigarettenstummel einzusammeln und alles komplett zu recyceln, anstatt es zu verbrennen“, sagt Merella.

Deutschlandweit beteiligen sich bereits über 200 Unternehmen am Tobacycle-System. Allein im Raum Köln sind rund 70 Vereinsmitglieder aktiv, die beim Versenden und Abholen gefüllter Container helfen. Derzeit gibt es in Köln 600 Kilogramm Trinkgeld. Bis zur Decke stapeln sich die Kübel und Kisten, im Lager in Hennef sind es sogar mehr als zweieinhalb Tonnen. Dann werden die Kippen von Firmen, mit denen Merella kooperiert, geschreddert und auf ein Drittel der Masse verdichtet, bevor sie an Firmen geschickt werden, die sie recyceln.

Einer der Unterstützer von Merella ist die Initiative „Rhine Clean Up“, die die Rheinufer von Müll befreit. Als Auftakt zum nächsten Rhein Clean Up, der am 14. September in 90 Städten stattfindet, startete Mitinitiator Ingo Lentz im August in Düsseldorf eine Mülldeponie-Aktion. „Die Wahlbeteiligung war überwältigend“, sagt Lentz. Über 150.000 Zigarettenkippen wurden für Tobacycle gesammelt. Die Aktion soll im kommenden Jahr wiederholt werden.

Merella Tobacycle finanzierte das Projekt zunächst aus eigener Tasche. Dazu kommen Spenden und das Pfand für Eimer. Denn reich wird er wohl nicht mit dem Sammeln von Zigarettenkippen.

Die Idee, Zigarettenkippen zu recyceln, ist nicht neu. In Paris hat die Supermarktkette Franprix im Jahr 2018 350 Supermärkte mit Sammelbehältern ausgestattet. Ein privates Unternehmen entleert diese und recycelt den Inhalt. Das Unternehmen Terracycle hat kürzlich in Deutschland für das Müllrecycling geworben. Das amerikanische Unternehmen will aus Zigarettenstummeln Eimer, Schachteln und Parkbänke herstellen. „Ich wollte 2016 eine Kooperation mit Terracycle starten, aber genau dort scheinen sie sich aus dem deutschen Markt zurückgezogen zu haben“, sagt Merella. Tatsächlich ist es still um das Unternehmen geworden, eine Anfrage von WELT blieb bei Redaktionsschluss unbeantwortet.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland NRW begrüßt die Arbeit von Tobacycle, langfristig müssen jedoch andere Bereiche angegangen werden. „In Deutschland muss es mehr Nichtraucherzonen geben“, sagt Sprecher Dirk Jansen. Nicht nur aus umweltpolitischen, sondern auch aus gesundheitspolitischen Gründen ist es nicht nachvollziehbar, warum an öffentlichen Orten noch immer geraucht werden darf. Ein Pfandsystem, wie es eine Berliner Petition mit 60.000 Unterschriften fordert, ist eine mögliche Lösung. "Die Politik muss auf jeden Fall mehr eingreifen", sagte Jansen.

Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat Anfang Juni einen neuen Bußgeldkatalog vorgelegt. Für das Wegwerfen von Zigarettenkippen sieht das Land nun 100 Euro Strafe vor, rund 75 Euro mehr als zuvor. Über die Umsetzung entscheiden aber die Kommunen. Köln kassiert seit kurzem bis zu 150 Euro für das Zigarettenschnüffeln.

Mario Merella will sich mit Tobacycle dem Rauchen generell nicht widersetzen. Dafür gibt es bereits genug Initiativen. „Wir sind ein bewusstseinsbildendes Konzept ohne erhobenen Zeigefinger“, sagt er. Er will auf die Problematik des Kippens aufmerksam machen, einen Recyclingkreislauf schaffen und die Tabakindustrie zur freiwilligen Rücknahme ermutigen. Gespräche mit dem Deutschen Zigarettenverband laufen. Als nächstes will Merella Sponsoren suchen. Interessierte Unternehmen können beispielsweise ihr Logo auf die Dosen drucken. Aber: „Entscheidend ist, dass das Unternehmen auch noch etwas für die Umwelt tut und nicht nur sein Image aufpolieren will“, sagt er.

Merella holt täglich mit einem Lastenfahrrad Deponien aus der Umgebung ab und leert Kisten an öffentlichen Plätzen. Am Wochenende ist er auf Festivals, verteilt Taschenaschenbecher und informiert Raucher. Täglich kommen Hunderte von E-Mails an, viele wollen mitmachen. Hundert Stunden pro Woche widmet er Tobacycle, sagt Merella: „Für mich ist das keine Arbeit. Ich habe mein Lebenswerk gefunden. "

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Vor den beiden Rentnern ist keine Zigarettenkippe sicher. Hans und Hubert packen mit Saugnäpfen die giftigen Baumstümpfe an, um ihre Heimatstadt vom Zigarettenmüll zu befreien. Denn diese sind ein großes Problem für die Umwelt.

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