Ausstellung - Der Reiz des Banalen: Das Vitra Design Museum macht aus Alltäglichem Kunst

2021-11-18 01:16:29 By : Ms. Linna zhang

Mit „Typologies“ zeigt das Vitra Design Museum in Weil eine Studie zu bekannten Alltagsgegenständen.

Als Kinder saßen wir gebannt vor dem Fernseher, als die Sendung "Sendung mit der Maus" erklärte, wie Zuckerwürfel oder Glasflaschen hergestellt werden. Ein kleines Stück Natürlichkeit unseres Alltags bekam plötzlich eine Geschichte, in der Rohmaterial in ein bekanntes Objekt verwandelt wurde.

Ganz ähnlich ist das Publikum in der kleinen Ausstellung in der Vitra Design Museum Gallery. Eine Weinflasche aus grünem Glas steht in einer Vitrine neben der anderen. Sie stehen für zweitausend Jahre Entwicklung einer Form, die millionenfach im Umlauf ist und unseren Alltag prägt. Ein überaus gelungenes Design, von dem Designer jedoch keine Spur.

Die Rotweinflasche ist kein Werk eines Einzelnen, sondern das Ergebnis politischer und gesellschaftlicher Veränderungen: Als der englische Adel Ende des 16. begann. Die grünen Flaschen sind ideal für den Transport zu den Adelssitzen - sie sind hygienisch und schützen vor Licht. Das Fassungsvermögen von einem Sechstel einer englischen Gallone gilt auch heute noch. Dass sich bis heute zwei französische Flaschentypen durchgesetzt haben, liegt zum einen an den Weinbaugebieten Bordeaux und Burgund und zum anderen daran, dass ausgerechnet diese Flaschen nicht durch Patent.

Die kurze Objekt- und Kulturgeschichte ist das Werk von vier Designern aus Frankreich, die sich unter dem Namen Collections Typology der Erforschung anonymer Alltagsgegenstände verschrieben haben. Mit kindlicher Neugier beginnen sie ihr Studium mit einer Sammlung von Objekten einer bestimmten Art. Bisher sammelten sie neben Weinflaschen auch Korkegel, Pétanque-Kugeln und Transportkisten. Der Sammlung folgt die Forschung: Im Austausch mit Produzenten und Experten werden Geschichte und aktuelle Produktionsbedingungen untersucht und im „Journal Typologie“ veröffentlicht.

Ihre Arbeit an Obst- und Gemüsekisten zeigt auf eindringliche Weise, dass es hier nicht nur darum geht, den ästhetischen Wert banaler Gegenstände in Szene zu setzen oder Detailfragen wie die Herkunft der Rillen auf Pétanque-Kugeln zu beantworten. Sie beleuchtet auch die komplexen Bedingungen, denen der Bau einer einfachen Orangenkiste unterliegt und wie schwierig es ist, Forderungen nach mehr Nachhaltigkeit durchzusetzen.

So erfährt man beispielsweise, dass die ursprünglich aus Weidenkörben entwickelte Obstkiste aus leichtem und billigem Pappelsperrholz weniger standardisiert ist, als der Welthandel vermuten lässt: Da der Transport von Leergut teurer ist als Neuproduktion, sind die Kisten mehr oder weniger lokal und in Varianten hergestellt. Das klingt an sich nicht unsympathisch, erschwert aber auch die Umsetzung einer nachhaltigeren Produktion. Auch die Wiederverwendung der Holzkisten wäre problematisch, da das mit Pestiziden behandelte Gemüse und Obst in das Holz eindringen und es quasi vergiften.

Recycling ist daher deutlich teurer als die einmalige Nutzung und Neuproduktion, die beispielsweise bei einem französischen Kistenhersteller täglich 120 Bäume verschlingt. Der viel geschmähte Kunststoff erweist sich plötzlich wieder als Alternative. Der europäischen Pappelkiste droht das Ende von einer anderen Seite: Bambus wächst noch schneller und ist zudem stabiler und weitgehend wasserdicht.

Guillaume Bloget, Raphaël Deaufresne, Thélonious Goupil und Guillaume Jandin von Collections Typologie haben die Erforschung autorenloser Alltagsgegenstände nicht erfunden. Ähnlichen Fragen ging Henry Petroski bereits in den 1990er Jahren nach, und das Vitra Design Museum selbst wandte sich vor einem Jahrzehnt mit der Ausstellung „Secret Heroes“ dem Thema zu.

Die Besonderheit der aktuellen Schau liegt in der Verbindung von historischen und formal-ästhetischen Interessen: Ausgangspunkt ist der ästhetische Wert scheinbar banaler Objekte, die aus dem Alltagskontext herausgelöst und wie eine Schmetterlingssammlung in Reih und Glied präsentiert werden. Damit gelingt es Collections Typologie besser als anderen, das Interesse an solchen Objekten überhaupt erst zu wecken und Selbstverständliches zu hinterfragen.