Leichte Komponenten am Rad -

2021-10-22 09:33:23 By : Ms. Justin Chan

Die eigene Materialentwicklung – ein spezielles Polyamid mit 30 Prozent Kohlefaser – brachte den Durchbruch für Spritzgussbauteile aus FRP. Dieses Material ist sehr leicht, hat gute Verarbeitungseigenschaften und eine hohe mechanische Festigkeit. All dies sind Grundvoraussetzungen für die sicherheitsrelevanten Komponenten an Motorrädern und Mountainbikes. Glatte Oberflächen und komplexe Geometrien lassen sich so darstellen. Bremshebel und Hydraulikkomponenten, die bisher aus Aluminium-Druckguss bestanden, können nun deutlich schneller aus Verbundwerkstoff gefertigt werden.

Das Kupplungsgehäuse dieser Motorräder besteht aus einem speziellen FVK, dessen Verarbeitungseigenschaften Bauteileigenschaften ermöglichen, die bisher nur mit Metallteilen möglich waren. (Bildquelle: Magura)

"Wir werden niemals Kunststoffteile für unsere Zweiräder verwenden." Der Verantwortliche bei BMW, der diese Aussage gemacht hat, befindet sich in bester Gesellschaft, denn es ist genauso falsch wie die berühmte Aussage von Bill Gates, dass wohl 640 kB für jeden Benutzer Computer ausreichen würden. Eine Aussage, die er später dementiert. Automobil- und Zweiradhersteller leben eine andere Art der Verleugnung. Denn heute – wenige Jahre nach dieser Aussage – ist BMW als interner Lieferant für Kunststoffkomponenten einer der zufriedensten Kunden von Magura, Bad Urach, und damit auch deren Kunststofftechnik-Sparte Hülben.

Bereits 1957 begann die Produktion von Kunststoffteilen. Das Geschäft mit Fahrradteilen aus faserverstärktem Kunststoff nahm mit der Entwicklung des eigenen Materials Carbotecture richtig Fahrt auf, das ein spezifisches Gewicht von nur 1,3 g/cm³ hat und damit sehr hell. Zum Vergleich: Ein GFK hat ein spezifisches Gewicht von ca. 1,9 g/cm³, Aluminium von ca. 2,7 g/cm³. Mit diesem Material, das von einem externen Compounder im Auftrag des Unternehmens hergestellt wird, lassen sich bisher undenkbare Teile herstellen. Aufgrund seiner Eigenschaften kann dieser Werkstoff besondere Anforderungen an mechanische Festigkeit und Oberflächengüte erfüllen – insbesondere im Leichtbau. Die Anforderungen an einen Bremshebel oder eine Bremsarmatur eines Mountainbikes sind bekannt. Das Hauptziel neuer Entwicklungen ist es heute, sie einfacher zu handhaben. „Wir haben zum Beispiel eine werkzeuglose Griffweitenverstellung über einen Kunststoffschieber“, beschreibt Christoph Kern, Leiter Technik, die erweiterte Funktionalität am Bedienhebel, „damit der Fahrer die Bremse optimal betätigen kann“. Mit dieser Verstellung – einem Kunststoffschieber – lässt sich der Abstand zwischen Griff und Fahrradlenker variieren und die Griffweite an die Handgröße anpassen.

Sicherheitsrelevante Bauteile aus faserverstärktem Kunststoff für Motorräder und Mountainbikes (Bildquelle: Magura)

Der Prozess der Produktentwicklung beginnt mit der Fahrradausstattung mit einer Spezifikation, die vom Produktentwicklungsteam in eine Spezifikation umgesetzt wird. „In diesem Team ist immer ein Mitarbeiter aus der Kunststofftechnik, der sich dann als Teilprojektleiter um die Kunststoffteile kümmert“, sagt Detlef Glaser, Leiter des Geschäftsbereichs Kunststofftechnik. In diesem frühen Stadium wird großer Wert auf den interdisziplinären Austausch gelegt, um die Iterationsschleifen in der Produktentwicklung zu minimieren. Dabei wird besonders darauf geachtet, ob das Teil später wirtschaftlich produziert werden kann – und welches Material geeignet ist.

Auch in der Produktentwicklung spielt der 3D-Druck seit rund zwei Jahren eine wichtige Rolle. Ein Drucker von Stratasys, Rheinmünster, erstellt aus Kunststofffilamenten ein 3D-Modell, das zu Testzwecken sogar auf einem Fahrrad montiert werden kann. „Wenn man das Produkt vor sich hat, können alle Beteiligten ein viel besseres Gefühl für das Produkt entwickeln und Designentwürfe besser beurteilen“, weiß Kern um die Vorteile einer frühen haptischen Bewertung. Für Verzugs- und Füllsimulationen, die aufgrund der komplexen Geometrie der Kunststoffteile sehr wichtig sind, setzt das Unternehmen Moldex 3D, die Simulationssoftware von Simpatec, Aachen, ein. Um schwierige Punkte wie die präzise - teilweise konturnahe - Temperaturführung, die Vermeidung von Verzug und die Schweißnähte exakt an die Anforderungen und das Material anzupassen, werden oft viele Schleifen benötigt, damit die Qualität später in der Serienfertigung stimmt. Einerseits gibt es dank umfangreicher Erfahrung heute laut Kern Projekte, bei denen das Bauteil exakt so entformt werden kann, wie es in der Simulation berechnet wurde. Auf der anderen Seite kommt es auch vor, dass 100 oder 1.000 Teile auf Prototypenwerkzeugen gefertigt werden müssen, um erneut Tests durchzuführen – Material- und Funktionstests. Diese sind trotz des Einsatzes der CAD/FEM-Software Solidworks von Dassault Systemes, Stuttgart notwendig. „Hier arbeiten wir bereits überlappend, um Zeit zu gewinnen. Denn auch wenn wir viel Erfahrung haben, verzieht sich manchmal ein Teil an einer Stelle, wo wir es einfach nicht erwartet haben“, sagt Glaser.

Das Produktionskonzept“, berichtet er selbstbewusst, machen wir meist selbst. „Ebenso der Kostenvoranschlag für die komplette Fertigungszelle mit den Hauptkomponenten Spritzgießmaschine, Automatisierung und Qualitätssicherung. Bei einem Kundenprojekt wird in der Regel ein Teil der Automatisierung für einen bestimmten Teil weiterverrechnet. „Und erst wenn der Kunde bei uns bestellt, fragen wir unsere Lieferanten. Denn im Durchschnitt bieten wir rund 1.000 Teile pro Jahr an, das sind drei Angebote pro Tag. „Eine Menge, die von keinem Spritzgießmaschinenhersteller oder anderen Lieferanten effizient verarbeitet werden könnte.

Blick in die Produktionshalle (Bildquelle: Redaktion Plastverarbeiter / ck)

60 Prozent der Werkzeuge für den Spritzguss werden in Asien gekauft. In diese ständige Partnerschaft hat das Unternehmen viel Zeit und Entwicklungsarbeit investiert, sodass heute die Werkzeuge im unteren und mittleren Schwierigkeitsgrad aus China kommen. Diese werden dann in Deutschland bemustert und hier vor Ort endgültig geklärt. „In Portugal haben wir auch zwei Lieferanten, die wir in den letzten vier Jahren aufgebaut haben, darunter Leomavel in Marinha Grande, Portugal. Denn wir wären heute nicht mehr konkurrenzfähig, wenn wir einen Teil der Werkzeuge nicht im Ausland kaufen würden“, lässt Glaser für einen kurzen Moment einen Einblick in den enormen Kostendruck gewinnen. Im Einkauf – wie auch in der Produktentwicklung – legt er großen Wert auf die direkte Kommunikation mit den Lieferanten, die bei technisch anspruchsvollen Produkten unverzichtbar ist. „Wir hatten Designer aus Portugal eine Woche im Haus und haben sie bei uns geschult – damit wir besser miteinander kommunizieren können und jeder von uns genau weiß, wovon wir sprechen und was die Anforderungen sind.“ Darüber hinaus tut das Unternehmen auch einen eigenen Formen- und Werkzeugbau im Werk Bad Urach gut, um besonders komplexe, anspruchsvolle Werkzeuge oder Werkzeuge mit strategischem Know-how bauen zu können. Dies betrifft rund 10 Prozent der 60 bis 80 Neuwerkzeuge pro Jahr. Das Unternehmen hat mehr als 750 aktive Werkzeuge im Einsatz und produziert über 1.100 verschiedene Produkte. Um die Anzahl der Werkzeuge etwas einzuschränken, werden hierfür viele Wechseleinsätze verwendet.

Dabei nutzt das Unternehmen nicht nur die eigene Erfahrung im Werkzeugbau. Ein Durchbruch in der Herstellung technisch anspruchsvoller Teile aus Kunststoff für den Radsport war 2010 die Entwicklung unseres eigenen Materials Carbotecture, einem mit 30 Prozent Kohlefaser verstärkten Spezial-PA, das nicht nur ein besonders geringes spezifisches Gewicht von 1,3 g/cm³ aufweist, sondern auch besitzt eine hohe mechanische Festigkeit und vor allem eine sehr gute Verarbeitbarkeit im Spritzguss. Dieses Material wird exklusiv für Magura von einem externen Compounder produziert. Darüber hinaus verarbeitet das Unternehmen rund 180 verschiedene Thermoplaste aus dem Hochleistungsbereich – von PVC bis PEEK – sowie TPE und Elastomere. Mischer, Trockner und Dispenser von Helios, Rosenheim und Werner Koch, Ispringen kümmern sich um deren Aufbereitung und Verteilung.

So wird beispielsweise ein Zylindergehäuse für die BMW 1200 GS seit 2013 aus eigenem Material gefertigt, das zuvor aus Aluminium-Druckguss oder im Aluminium-Schmiedeverfahren hergestellt wurde. Leichtbau ist hier das Stichwort, aber auch Kosteneffizienz war ein entscheidendes Argument für die Auftragsvergabe an Magura. Aufgrund des deutlich schlankeren Herstellungsprozesses können die CFK-Teile innerhalb eines Tages gespritzt werden, während die Produktion des Aluminiumteils rund vier Wochen dauert. Dieser Zeitvorteil ist echtes Geld wert, denn Fehler lassen sich im Laufe der Entwicklung und Produktion entsprechend schnell beseitigen.

Besonders anspruchsvoll ist die extrem glatte Innenfläche der Kolbenführungen, wenn das Bauteil aus 30 Prozent faserverstärktem PA besteht. (Bildquelle: Redaktion Plastverarbeiter / ck)

BMW hatte für dieses Bauteil einen Lieferantenwettbewerb ausgeschrieben. Die besonderen Anforderungen: Neben Festigkeit sorgen ein vorgeformtes Anschlussgewinde und ein Kolbenraum mit sehr glatter Innenfläche für die Dichtigkeit. Um solche Anforderungen in die plastische Realität umsetzen zu können, bedarf es eines ganz besonderen Spritzguss-Know-hows. Die Kolbenführungen müssen extrem glatte Innenflächen aufweisen, was auch mit dem 30 Prozent faserverstärkten Kunststoff erreicht werden kann. Gleichzeitig müssen die H9-Passungen und die erforderliche Rundheit über die gesamte Länge des Kolbenraums gewährleistet sein – Werte, die sich tatsächlich aus der Konstruktion des Metallbauteils ergeben. Die werkzeugtechnischen Herausforderungen sind die gratfreien Verschneidungen der langen Stifte, da sich lösende Grate immer zu Undichtigkeiten führen – in diesem Fall zum möglichen Ausfall eines sicherheitsrelevanten Systems am Motorrad. Ein weiterer Punkt ist die Berechnung und Umsetzung einer definierten Sollbruchstelle, die auf diesem Teil bereitgestellt wird. Hier werden maximale Bruchkräfte angegeben, die nur geringfügig unterschritten werden sollten, um andererseits die robustesten und langlebigsten Teile liefern zu können. Zu den besonderen Kompetenzen in Hülben gehören auch Gewindeentspinnung und Kolben in 2K-Technik (hart/weich).

Drei Maschinenhersteller sind in der Spritzgießerei vertreten – auf zwei davon setzt das Unternehmen künftig ein. (Bildquelle: Redaktion Plastverarbeiter / ck)

Die Produktion ist mit 42 Spritzgießmaschinen - hauptsächlich von Arburg, Loßburg, und Engel, Schwertberg, Österreich - ausgestattet. Die Schließkräfte reichen von 120 bis 2.000 kN, wobei der Trend – so Glaser – deutlich in Richtung größerer Maschinen bis 3.500 kN geht. Auch einige ältere Maschinen von Sumitomo Demag sind zu sehen. Glaser begründet diese Zusammensetzung und seine strategische Konzentration auf zwei Maschinenhersteller mit den spezifischen Vorteilen der beiden Maschinen: „Bei komplexen Werkzeugen, also großen Werkzeugen mit Kleinteilen, setzen wir hauptsächlich Engel-Maschinen ein. Die holmlosen Maschinen haben hier den entscheidenden Vorteil, dass wir mit kleineren Maschinen arbeiten können, da der Einbauraum für die Werkzeuge groß genug ist, weil keine Holme im Weg ist. Technisch unterscheiden sich beide Marken kaum. Der Vorteil bei Arburg ist das Allrounder-Prinzip. Das ist für uns entscheidend, wenn wir beim Einrichten auch die Zylinder tauschen, also einmal eine 15er Schnecke, dann eine 18er, 20er oder 30er Schnecke – je nach Anwendung. Und dank des speziellen Konstruktionsprinzips können auch die materialspezifischen Zylindersätze zwischen den Maschinenreihen getauscht werden.“ Bei über 1.000 verschiedenen Produkten und Kleinserien von rund 1.000 Stück pro Jahr bis hin zu Großserien mit rund 36 Millionen Bauteilen pro Jahr spielt die Vereinfachung der Rüstprozesse in der Produktion für den Verarbeiter eine wichtige Rolle. Die Maschinen selbst verbleiben in der Regel rund zwölf Jahre im Unternehmen, danach werden sie ausgetauscht.

Bei den sicherheitsrelevanten Komponenten spielt die Qualitätssicherung eine besondere Rolle. (Bildquelle: Redaktion Plastverarbeiter / ck)

Da es sich beim Kupplungshebel beim Motorrad und beim Bremshebel beim Mountainbike um sicherheitsrelevante Systeme handelt, sind die Qualitätsansprüche seitens der Kunden besonders hoch. Der Lieferant trägt hierbei die volle Verantwortung und Dokumentationspflicht. Aus diesem Grund arbeitet das Unternehmen unter anderem mit der Bildverarbeitung von Qualycheck, Eigeltingen, die die Teileprüfung in den Fertigungszellen übernimmt. Jedes einzelne QS-System wird nach den Anforderungen des Kunststoffverarbeiters gestaltet. Die in Hülben gefertigte Produktpalette zeichnet sich dadurch aus, dass nicht nur die Bauteilgewichte von 0,02 g bis rund 500 g, sondern auch die Materialien und Geometrien extrem unterschiedlich sind. Erfahrung macht den Unterschied – darauf vertraut Magura nicht nur bei seinen Lieferanten, sondern auch bei der Entwicklung und Herstellung eigener Produkte.

ist Herausgeber von Plastverarbeiter. christine.koblmiller@huethig.de

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