Materialien, die in der Bauhaus-Produktion verwendet werden - WELT

2021-10-22 09:33:59 By : Ms. Rose Wu

Wandel und Wandel sind die Konstanten des frühen 20. Jahrhunderts. Im politischen und gesellschaftlichen Bereich ebenso wie im Alltag. Die Revolution hält buchstäblich Einzug in die Garagen, Küchenschränke und Wohnzimmer der Bürger. Dabei spielen neue Materialien eine entscheidende Rolle: Die ersten Kunststoffe werden entwickelt und hergestellt – Bakelit und Plexiglas, Nylon, Perlon und PVC.

Innovative Verfahrenstechniken eröffnen auch altbekannten Materialien faszinierende Möglichkeiten: Aus Pressglas, Edelstahl und gehärtetem Aluminium entstehen neuartige Alltagsgegenstände für jedermann. Individuelles Handwerk weicht industrieller Massenware.

Unter dem Titel „Nützliches & Schönes – Produktdesign 1920 bis 1940“ zeigt das LVR-Industriemuseum in Oberhausen ab 21. Mai, wie sich die gesamte Warenwelt in dieser Zeit verändert hat. Es ist nur folgerichtig, dass die Ausstellung im Peter-Behrens-Bau stattfindet. Der Architekt und Designer Peter Behrens, Jahrgang 1868, gilt als wichtiger Wegbereiter der Moderne – in seinem Werk verbindet er den Anspruch einer künstlerisch gestalteten Formensprache mit den Anforderungen industrieller Massenproduktion.

Seine Kreationen begegnen uns bis heute: Behrens entwirft nicht nur Gebäude von Weltrang, er ist auch für das gesamte Corporate Design des Unternehmens AEG verantwortlich, vom Logo bis zum Design von Lichtschaltern und Alltagsgegenständen.

In Oberhausen werden rund 500 Exponate präsentiert. „Wir zeigen hauptsächlich Alltagsgegenstände aus dieser Zeit“, sagt Michael Gaigalat, Leiter des Sammlungsdienstes am Rheinischen Landesmuseum für Industrie- und Sozialgeschichte. "Wir wollen einen Einblick in die Welt der Menschen geben, wie sie lebten, reisten, arbeiteten und sich amüsierten."

Mit den neuen Materialien und Herstellungsverfahren, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts aufkamen, gab es auch eine neue Formensprache. Der verspielte, üppig geschwungene Jugendstil gilt als unmodern. Ornamente und Dekorationen weichen einem sachlichen, funktionalen Design. Mit raffinierten Alltagsgegenständen wollen die Designer das Leben in all seinen Facetten bereichern.

Die Architekten und Designer des 1907 gegründeten Deutschen Werkbundes diskutieren bereits über vieles, was später vom Bauhaus aufgegriffen und weiterentwickelt wurde. Es ist eine Zeit der Innovation. Techniker und Chemiker erfinden immer wieder neue Materialien. Die ersten Kunststoffe wurden Ende des 19. Jahrhunderts auf Basis biologischer Rohstoffe entwickelt, später bildeten chemische Stoffe aus dem Steinkohlenbergbau die Basis.

Preiswerte Kunststoffe, die die viel wertvolleren Naturmaterialien imitieren und ersetzen, sorgen für eine Demokratisierung des Konsums. „Kunststoff statt Elfenbein und Kunstseide statt Seide machen die Dinge für ein breiteres Publikum erschwinglich“, sagt Michael Gaigalat. Ein Kleid aus Kunstseide mit Pailletten aus Zelluloid können sich nicht nur Frauen der Oberschicht leisten.

Die neuen Materialien sind eine notwendige Voraussetzung für viele technische Geräte: Bakelit oder andere Kunstharzprodukte ermöglichen der prosperierenden Elektroindustrie den Siegeszug. Das Material ist leicht, preiswert, gut zu verarbeiten und isoliert gegen Strom und Wärme. Es wird für Lichtschalter, Steckdosen, Radios und Telefone verwendet. Der erste Haartrockner mit Kunststoffgehäuse kommt 1928 auf den Markt.

„Zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben sich drei Zukunftstechnologien gegenseitig gefördert. Die Elektro- und Telekommunikationsindustrie verfügte nun über ein Material, das ihre Produkte leichter, sicherer und billiger machte. Im Gegenzug forderten sie Materialien von gleichbleibender Qualität, sodass in den 1920er Jahren ein System zum Beschriften und Etikettieren von Formmassen entstand“, erklärt Uta Scholten, Kunststoffexpertin im LVR-Industriemuseum.

Auch in der Metallverarbeitung ebnen neue Verfahren den Weg für neue Produkte: 1912 meldete der Essener Krupp-Konzern Edelstahl zum Patent an – unter dem Namen „Nirosta“ oder V2A-Stahl wurde er zu einem veritablen Universalwerkstoff. Bei Besteck- und Haushaltsgeräten, medizinischen Instrumenten oder im industriellen Einsatz wird es schnell unentbehrlich. Anlässlich der Spiele 1936 in Berlin stiftete Krupp den Fackelhalter für das olympische Feuer – natürlich aus V2A-Stahl.

Im Möbelbau kommt Stahlrohren eine besondere Bedeutung zu. Der begeisterte Radsportler Marcel Breuer entdeckte die Vorzüge seines Lieblingsfahrzeugs. Er entwickelte eine Reihe von Sitzmöbeln und Tischen und baute mit Hilfe eines Klempners die ersten Exemplare. Breuer reduzierte die verwendeten Formen auf ein Minimum. Sein Stuhl „Wassily“ und die Stahlrohr-Freischwinger wurden zu Designikonen des 20. Jahrhunderts. Eine echte Herausforderung für die Ausstellungsmacher in Oberhausen: „Der Wassily-Stuhl ist im Bauhaus-Jahr so ​​beliebt, dass wir uns ein Exemplar des Stuhls aus der Sammlung eines Privatsammlers in Frankreich ausleihen mussten“, berichtet Michael Gaigalat.

In den 1930er Jahren machte der Bauhaus-Student Wilhelm Wagenfeld Pressglas salonfähig. Präzisere Verarbeitungsmethoden und die Möglichkeit der farbigen Gestaltung katapultieren das Material aus der schmutzigen Ecke. „Form und Farbe haben sich seitdem nicht so stark verändert“, sagt Holger Klein-Wiele, Glasspezialist des LVR-Landesmuseums.

"Viele Objekte aus dieser Zeit wirken erstaunlich aktuell." Einige Produkte werden seit Jahrzehnten unverändert produziert. Auch Klein-Wieles Lieblingsobjekt ist ein Dauerbrenner: „Wilhelm Wagenfelds ‚Eierkocher‘, eine hitzebeständige Form, mit der ein Ei ohne Schale gekocht werden kann.“ Der Museumsmann hat sich kürzlich im Internet ein Sixpack aus den 1970er Jahren gekauft.

„Industriedesign wird oft automatisch mit Bauhaus gleichgesetzt“, sagt Gaigalat. "Es gibt in Deutschland eine Linie des funktionalistischen Designs, die von Peter Behrens über den Werkbund und das Bauhaus bis heute reicht."

„Nützlich & schön. Produktdesign 1920 bis 1940“. LVR-Industriemuseum Oberhausen, 19. Mai 2019 - 23. Februar 2020. industriemuseum.lvr.de

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